Reisetagebuch: München - Linz - Wien, Graz - Klagenfurt - Venedig, Innsbruck - Salzburg, Breslau - Krakau - Warschau

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Am 26. Juni 1939 erhielt der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse von Adolf Hitler den Auftrag, die Gemäldesammlung für das sogenannte 'Führermuseum' aufzubauen, ein Kunstmuseum, das der Diktator in seiner Geburtsstadt Linz an der Donau zu errichten beabsichtigte. In den kommenden drei Jahren sollte Posse zur Erfüllung dieser Aufgabe in die von der deutschen Wehrmacht besetzten Länder, nach Italien und in die Schweiz reisen. Die Notizen in den Reisekladden fixieren Namen und Adressen der Personen, die er traf, geben Hinweise auf die Kunstwerke, die er begutachtete, und dokumentieren seine komplexe, hochpolitische Mission als Sonderbeauftragter für ein Museumsprogramm Hitlers, das die Museumslandschaft Europas grundlegend verändert hätte.

Die Eintragungen des ersten Reisetagebuchs setzen am 5. Juli 1939 in München ein, kurz nach Beginn der am 1. Juli aufgenommenen Tätigkeit Posses als Emissär Hitlers. Posse war mit dem Nachtzug aus Dresden angereist, wie er fast alle weiteren Reisen als Sonderbeauftragter im Schlafwagen über Nacht durchführen sollte. Die Reisetagebücher halten Abfahrts- und Ankunftszeiten fest, den Namen und manchmal auch die Zimmernummer des gebuchten Hotels, Übernachtungs-, Verpflegungs- sowie Fahrt- und Transportkosten vor Ort.

In München suchte Posse als erstes das repräsentative Parteizentrum der NSDAP, den damaligen Führerbau, auf. Hier wählte Posse am 5. Juli 1939 Gemälde für das Linzer Museum aus einem von Hitler im Jahr zuvor angelegten Fundus aus. Die Aufzeichnungen dokumentieren Treffen mit Museumskollegen, Besuche von Kunsthandlungen und Abendverabredungen. Sie liefern somit wichtige Informationen zu den Netzwerken des NS-Kunstraubs.

Von München aus fuhr Posse am 7. Juli weiter nach Linz, wo er einen Antrittsbesuch bei Gauleiter August Eigruber absolvierte und das Gaumuseum Oberdonau (Oberösterreichisches Landesmuseum) inspizierte. Hitler verfolgte den Plan, die Linzer Museumslandschaft um zwei weitere Häuser zu erweitern und dafür Bestände des bestehenden Museums, das ein Universalmuseum war, auf ein Naturkundemuseum und ein Kunstmuseum, das Führermuseum, zu übertragen.

In Wien sichtete er die dort nach dem 'Anschluss' Österreichs an das Deutsche Reich beschlagnahmten jüdischen Kunstsammlungen, die in einem Zentraldepot in der Neuen Hofburg zusammengetragen worden waren und unter 'Führervorbehalt' standen, also Hitlers Verfügungsanspruch unterlagen. Die Kladde dokumentiert zudem Besuche in der Österreichischen Galerie im Belvedere, im Quartier der Wiener Gestapo, in deren Verfügung sich der Großteil der jüdischen Kunstsammlungen befand, bei der österreichischen Übergangsregierung, in deren Verantwortung das Verteilungsprojekt der jüdischen Kunstsammlungen lag, und bei dem ehemaligen 'Reichsstatthalter in Österreich' Arthur Seyß-Inquart. In dessen Regierungszeit war zwischen März 1938 und April 1939 bereits ein Verteilungsplan ausgearbeitet worden.

Die Eintragungen wurden am 20. Juli 1939 fortgesetzt anlässlich einer weiteren Reise Posses nach München. Am 21. Juli 1939 konzipierte er gemeinsam mit dem Berliner Kunsthändler Karl Haberstock eine beispielhafte Ausstellung der für das Führermuseum vorgesehenen Gemälde, die Hitler am frühen Abend des 23. Juli vorgestellt wurde. Bei diesem Treffen erweiterte Hitler Posses Auftrag auf die Gesamtverteilung der Kunstbestände im Wiener Zentraldepot; es wurde beschlossen, dass Posse die österreichischen Provinzmuseen inspizieren, professionelle Verteilungskriterien festlegen und Hitler danach nicht nur einen Verteilungsplan vorlegen sollte, sondern auch eine Strategie zur Weiterentwicklung der Museen der 'Ostmark'. Auf Posses Initiative hin wurden die denkmalbehördlich 'sichergestellten' Kunstwerke ebenfalls unter 'Führervorbehalt' gestellt und Posse damit die Chance gegeben, als erster darauf zuzugreifen.

Eine erste Inspektionsreise führte nach Graz und Klagenfurt. Am 10. August besichtigte Posse das Landesmuseum Joanneum in Graz, am 11. August fuhr er nach Klagenfurt weiter und verschaffte sich am Tag darauf einen Eindruck von der dortigen Museumslandschaft. Die historisch gewachsenen Sammlungen und Besitztümer der im 19. Jahrhundert gegründeten bürgerlichen Institution der Landesmuseen, die teilweise noch in Vereinsform organisiert waren, sollten nach wissenschaftlichen Kriterien systematisiert und 'zentralisiert', d. h. in Gaubesitz, überführt werden.

Die nächste Reisestation war Venedig, wo er am 14. August eine im April eröffnete Ausstellung zu Paolo Veronese besuchte, der er als Direktor der Dresdner Gemäldegalerie als Leihgeber und Ausstellungskommissar verbunden war. Auf der Rückfahrt machte er Halt in München, wo er am 18. August unter anderem im Führerbau angelieferte Kunstwerke begutachtete und mit dem Architekten Hermann Giesler, Generalbaurat für die Neugestaltung Münchens, Unterbringungsmöglichkeiten für die Linz-Sammlung besprach.

Am 28. September 1939 war Posse bei einer Besprechung mit Martin Bormann, der als Verbindungsglied zwischen Posse und Hitler fungierte, in Berlin.

Im Oktober setzte Posse die durch den Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen unterbrochene Inspektion der 'Ostmark'-Museen fort. Am 9. Oktober 1939 fuhr er nach München, am 10. Oktober weiter nach Innsbruck. Am Tag darauf erkundete er die Sammlungen in Schloss Ambras und dem Landesmuseum Ferdinandeum. Am 12. Oktober reiste Posse nach Salzburg weiter und verschaffte sich an diesem und dem folgenden Tag ein Bild der Salzburger Museumslandschaft.

Im November sandte Hitler Posse mit der Order ins okkupierte Polen, einen Verteilungsplan für die 'sichergestellten' Kunstbestände auszuarbeiten. Wie bereits zuvor in Österreich wurden die Kunstwerke in einem Zentraldepot im Neubau der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau gesammelt. Doch der Auftrag war nicht durchführbar, da der Transfer der Kunstwerke aus Warschau noch nicht abgeschlossen war. Posse nutzte die Reise, um in Krakau und Warschau Museen, Privatsammlungen und Kirchen zu besuchen und Kunstwerke zu notieren, die für deutsche Museen von Interesse sein könnten. Er traf Kajetan Mühlmann, der als 'Sonderbeauftragter für die Sicherung der Kunst- und Kulturschätze' eingesetzt worden war, sowie weitere Mitglieder von dessen mit dem Kunstraub betrauten Organisation. Nach Posses Rückkehr nach Berlin empfahl er Hitler den Zugriff auf die privaten und kirchlichen Bestände, woraufhin die Beschlagnahmeorder entsprechend erweitert wurde.

 

Laufzeit
07.1939-12.1939
Signatur
DKA, NL Posse, Hans, I,B-2